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Contributo di Recensione a cura di Melanie Wald

 

SUSAN McCLARY, Modal subjectivities. Self-fashioning in the Italian madrigal, University of California Press, Berkeley-Los Angeles-London, 2004, 374 pp., 22 esempi musicali.

 

 

Wagemutig metaphorisch und lustvoll anthropomorphisierend: So schreibt Susan McClary auch in ihrem jüngsten Buch gegen »master narratives« der eigenen und verwandten Disziplinen an. Dazu nimmt sie Gedanken ihrer unveröffentlichten Monteverdi-Dissertation (The Transition from Modal to Tonal Organization in the Works of Monteverdi, Diss. Harvard 1976) wieder auf, setzt etliche der sie in den letzten Jahren vorwiegend beschäftigenden Themen fort, erntet aber besonders auch die Früchte einer jahrzehntelangen interpretatorischen und theoretischen Auseinandersetzung mit dem Repertoire. Aus alledem setzt sie mit Modal subjectivities nun eine Geschichte des italienischen Madrigals des 16. Jahrhunderts zusammen, deren Erkenntnisinteresse weit über das üblicher Gattungsmonographien hinausgeht.[1] Sich einreihend in Aplomb und Rhetorik der – kürzlich durch eine ideologiekritische Studie Anne Shrefflers ihres Habitus der revolutionären Vorbildlosigkeit etwas entkleideten[2] – New Musicology klassifiziert sie das Genre als »cultural work« (Kapitel 1) und will es durch die interdisziplinär gewobenen »histories of bodies, genders, sexualities and subjectivities« (S. X) kontextualisieren, um somit Musikgeschichte als Geistes- und Kulturgeschichte zu schreiben. Denn im Madrigal, so ihre zentrale These, lasse sich eine bewusste Konstruktion von Subjektivität durch Musik nachweisen, und daher könne es gleichsam als Korrelat eines »morbidly instrospective and irreconcilably conflicted Self« gedeutet werden (S. 6). Sie wagt es sogar, dieses entscheidende Definiens einer »Renaissance« burckhardschen Entwurfs zum überhaupt ersten Mal in der Musik künstlerisch verwirklicht zu sehen. Als Bühne des Ich identifiziert sie namentlich die modale Ebene der Kompositionen, woraus sich dann auch endlich der Titel des Buches erklärt: Modal subjectivities geht, kurz gesagt, der Frage nach, was uns die Wahl und Verwendung eines Modus in einem bestimmten Madrigal über die Konzepte von Subjektivität, Identität und Geschlechterrollen im 16. Jahrhundert sagt.

Zwar nennt McClary die geistigen Väter und Mütter ihres Themas (an erster Stelle erwartungsgemäß Foucault, daneben Charles Taylor, Peter Burke, Stephen Greenblatt und María Rosa Menocal), dennoch hätte der Studie eine pointierte Zusammenfassung dessen, was sie aufgrund der angeführten Arbeiten unter der subjectivity des 16. Jahrhunderts versteht, gut getan. Ohne diese bleibt der Begriff für den Leser zumeist ein zu vieldeutiges Etikett und changiert eigentümlich zwischen Subjektivität, Identität und Innerlichkeit.

Etwas mehr Raum verwendet sie indes auf die Modi (S. 13ff.), die sie gerade wegen ihrer von zeitgenössischen Theoretikern bezeugten Ambivalenzen als Ort musikalischen Handelns definiert. Sie hat dabei offensichtlich eine Moduskonzeption nach dem Paradigmenwechsel durch Glarean und Zarlino im Sinn, macht diese Prämisse aber zu wenig klar. Dabei läge eine Chance ihres Ansatzes, die Modi auch um 1600 noch als aussagestarke und formal potente Mittel der kompositorischen Praxis ernst zu nehmen und nicht nur unter dem dräuenden Herannahen der Dur-Moll-Tonalität zu betrachten, gerade auch darin nachzuweisen, dass die theoretische Neuformulierung des modalen Systems ebenfalls mehr als nur ein hilfloser Versuch konservativer Autoren war, sich gegen eine teleologisch notwenige Veränderung zu stemmen.

Wie viel man einem Repertoire des 16. Jahrhunderts abgewinnen kann, wenn man seinen modalen Rahmen als verbindlich und vom Komponisten bewusst konturiert voraussetzt, entfaltet McClary in den sieben Hauptkapiteln ihres Buches. Dort schreitet sie die Reihe der renommiertesten Madrigalkomponisten von Verdelot bis Gesualdo und Monteverdi chronologisch ab und stellt – mutig genug – deren »Hits« in den Mittelpunkt ausführlicher modaler Analysen. Ohne vor strenger musikwissenschaftlicher Terminologie zurückzuschrecken gelingt es ihrer mit Absicht narrativen und bildhaften Sprache dabei, die musikalischen Abläufe auch für wenig Fachkundige nachvollziehbar zu machen. Dieser äußerst produktive Entwurf einer gleichermaßen argumentativen wie deutenden Analyse, die ein ganzes Buch hindurch trägt, ist zweifellos einer der anregendsten Punkte ihrer Arbeit. Zu den konzeptionellen Glanzstücken gehört auch der vollständige Abdruck aller besprochenen Kompositionen im Anhang, wenn auch ohne jede philologische Auseinandersetzung mit dem Notentext.

Fachlich bewegt sie sich auf höchstem Niveau: Mit selten anzutreffender Disziplin zügelt McClary die Neigung moderner Untersuchungen zur Überbewertung von Vertikale und harmonischer Progression. Vielmehr folgt sie mit großer Feinfühligkeit den einzelnen Linien der Stimmen und klopft sie auf ihren Beitrag zur Bestimmung des Modus ab. Sie geht dabei hauptsächlich textimmanent vor, klammert also die notorischen, aber überwiegend uneinheitlichen Affektzuschreibungen der Theorie aus und sucht statt dessen die Rhetorik des Werkverlaufs selbst freizulegen. Dabei gelingen ihr überaus spannende Einsichten in das Laboratorium modalen Komponierens, wenn sie verschwiegene Grundmodi, verweigerte oder abgebogene Kadenzen, modale Doppeldeutigkeiten, die Implikation von Alterationen oder das plötzliche Hereinbrechen völlig fremder Klänge aufspürt. Ihre Kopplung solcher Vorgänge mit Modalitäten des Subjekts wie der Trennung von Selbstdarstellung nach außen und innerer Wahrheit, der Zerrissenheit zwischen verschiedenen Affekten, der Kluft zwischen Ratio und Empfindung, der Differenz zwischen dem Erzählenden und dem Ich im Dialog, dazu die Konstruktion der Partnerin, der Perspektivenwechsel zwischen dem Komponisten und seinen Figuren können durchaus überzeugen. Von Bedeutung dafür sind auch ihre Überlegungen zu den sich ändernden Konstellationen im Dreieck Komponist-Ausführende-Publikum: Wenn die Aufführung immer mehr zur Sache von professionellen Sängern wird, muss sich das Verhältnis der Höflinge als Kreis der Adressaten nicht vom unmittelbaren eigenen Nachvollzug des Affektgangs zu einer mehr distanzierten Betrachtung wandeln, so dass die Stücke die Innerlichkeit ihrer Figuren nun eher repräsentieren als direkt abbilden? Und was, wenn wie in Gesualdo der Komponist nicht mehr für Auftraggeber anderen Standes schreibt, sondern für sich selbst?

Freilich: Nicht jede modale Ambivalenz will sich dem Leser zwangsläufig als Zeichen einer zersplitterten Identität darstellen, und zuweilen erscheinen die Deutungen als unzulässiger Kurzschluss zwischen einer allgemeinen Auffächerung der vom Text angesprochenen Dimensionen und den Facetten ihrer Subjekte. Und obwohl sie das Problem anfangs benennt, unterliegt auch McClary der typischen Gefahr von Detailstudien, indem ihr der Modus und seine Implikationen für die Subjektivitäten hin und wieder vom Ausschnitt zum erschöpfenden Ganzen geraten. Und beschränkt sich die Bedeutungspalette der Modi tatsächlich auf Innerpersonelles? Außerdem hätte man gut auch mit etwas weniger Emphase auf den sexuellen Konnotationen von Texten und Musik leben können. Auch die erst spät nachgelieferte Geschichte der Modustheorie erscheint als unnötig verkürzt und zu nachlässig (S. 194ff.): McClarys Affekt gegen scheinbar gesicherte Forschungserzählungen versagt an dieser Stelle leider gänzlich, so dass sich eine als Kopfgeburt apostrophierte karolingische Musiktheorie und deren angeblich pragmatisch-leicht genommene Reibung mit der Praxis fälschlich als nicht vermittelbar mit der von der Autorin ja in hohem Grade plausibel gemachten Relevanz modalen Komponierens wie Theoretisierens am Ende der modalen Ära erscheint.

Ärgerlicher ist allerdings McClarys übergroße Sparsamkeit mit Nachweisen und die meist ausbleibende Vernetzung mit dem generellen Forschungsstand (eine Bibliographie fehlt völlig). Vor allem aber bei der Quellenerschließung leidet das Werk an erheblichen Versäumnissen: Die ausgewählten Kompositionen werden nur sehr punktuell in Kontexte eingebunden, das sonstige Œuvre der Komponisten bleibt unerwähnt, mit Jahreszahlen geizt McClary, Musikdrucke werden nicht nachgewiesen. Die wenigen Theoretiker bleiben Schatten und werden unter Aussparung ihrer teils recht komplizierten Veröffentlichungsgeschichten (Zarlino) nur in englischen Übersetzungen zitiert. Außerdem vermisst man schmerzlich eine nachvollziehbare Herleitung ihrer an den Stücken durchaus fruchtbar gemachten, aber über das den Quellen zu entnehmende weit hinausgehenden Modusbestimmungen. Dies ist umso bedauerlicher, als der systematische Durchgang durch die einzelnen Modi, den McClary im Schlusskapitel unternimmt (wo allerdings ohne jede Begründung alle plagalen Modi außer dem Hypodorischen fehlen), der Modus-Forschung unbestreitbar spannende Impulse bietet.

Der Ertrag des Buches teilt sich somit auf zwei Felder: Zum einen zeigt die Autorin beispielhaft eine innovative Methode modalen, streng linearen Analysierens und setzt so die Modi in ihr oft angefochtenes Recht als lange noch sinnträchtige kompositorische Konventionen wieder ein. Zum anderen entwirft sie eine Theorie des introspektiven Madrigals als Mentalitätsspiegel des politisch weiter unruhigen italienischen 16. Jahrhunderts, zu dessen Anfang Castiglione und Machiavelli bereits das bewusste Kultivieren einer zwischen Außen und Innen gespaltenen Identität postulieren. Dass man über beides streiten kann, ist bei einem Werk von der positiv apodiktischen und konzentrierten Anlage wie dem Susan McClarys evident. Dass dieser Streit aber durchaus wichtige musik- und geistesgeschichtliche Details besser begreifen lässt, der höchst nützliche Beitrag dieses Bandes.

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[Bio] Melanie Wald ist Assistentin am musikwissenschaftlichen Institut der Universität Zürich und promovierte mit einer Arbeit über A. Kirchers Musurgia universalis. Ihr Hauptarbeitsgebiet ist die Musiktheorie und Musikanschauung vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit.

[1] Außerdem fungiert das Werk, wie McClary vielleicht einige Male zu oft betont, als Vorstudie eigenen Ranges zu ihrem demnächst erscheinenden Band über Tonalität im 17. Jahrhundert (Power and Desire in Seventeenth Century Music).

[2] Vgl. ANNE C. SHREFFLER, Berlin Walls: Dahlhaus, Knepler, and Ideologies of Music History, «Journal of Musicology», XX, 2003, S. 498-525.

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( 2009-11-24 )

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